1. Einleitung
Die musiktherapeutische Arbeit, sei es im präventiven, pädagogischen oder kurativen Bereich, bedient sich aktiv kreierter Musik und auch rezeptiv erfahrener Klang- und Musikproduktionen. Letztere werden direkt vorgespielt oder ab Tonträger den Beteiligten präsentiert. In beiden Formen der Musiktherapie ist der Prozess des Hörens von zentraler Bedeutung. Neben komponierter oder frei improvisierter Musik kommen auch Hörbilder aus der urbanen und natürlichen Klanglandschaft zum Einsatz. Wir sind ständig von Geräuschen und Klängen umgeben. So sprechen wir auch von einem Klanghabitat, Geräuschkulisse innerhalb der Wohnräume, und eben der Klanglandschaft, der klingenden Welt im Freien. Hörereignisse aus diesem Bereich werden innerhalb der Beziehung zum Musiktherapeuten von entwicklungsfördernder Bedeutung für den Patienten bzw. Klienten.
2. Naturhörbilder anstelle von Musik
Natürliche Wirklichkeiten, in unserem Falle die akustischen Hörereignisse, bieten ein ideales Lernfeld an. Auditive Grundfähigkeiten, wie auditive Aufmerksamkeit, Erkennungs- und Unterscheidungsvermögen, Richtungssinn, Merkfähigkeit und die Bedeutung des Gehörten können in entsprechend aufgearbeiteten Hörbildern stufenweise gefördert werden.Dies zeigt sich besonders in der Kindermusiktherapie als wertvoller und häufig verwendeter Ansatz.
Die musiktherapeutische Beobachtung zeigt auf, welches die Hörfähigkeiten des Kindes sind, aufgrund derer ein individuelles und spezifisches Klangmaterial vorbereitet werden kann. Im Spiel, in der szenischen Darstellung und im Gespräch wird das Gehörte geteilt und verarbeitet. So ist das Klangobjekt stets Gegenstand auf welchen eine gemeinsame Aufmerksamkeit gerichtet wird. Das Kind lernt dadurch hin zu hören, Hörereignisse zu erkennen und sich diese zu merken. Es wird dadurch offener und wahrnehmender für seine klangliche Umwelt. Das Kind wird zum hörenden Menschen. Dies wiederum fördert seine Fähigkeit reicher mit der Umwelt in Kontakt zu sein, eine unerlässliche Grundlage für seine persönliche und psychosoziale Entwicklung.
Naturhörbilder bieten vielfältige Szenen. Je bekannter desto eher kann ein anfängliches Zuhören entstehen. Bei entwickelten Hörfähigkeiten kann dann auch Anspruchsvolles gehört werden. Viele Schulkinder profitieren anfänglich von strukturierten Naturhörbildern. Zum Beispiel die Hörbildcollage „La Bubbula“. In diesem Stück wird der Ruf des Wiedehopfs dargestellt. In kurzen Sequenzen wird dieses Hörereignis wiederholt gezeigt. Zuerst einfach, dann erneut mit anderen gut zu unterscheidenden Vogelstimmen. Einfach zu unterscheiden weil der Ruf so anders ist. Ebenso in der Tonhöhe und der Klangfarbe. Der Kontrast zwischen der klanglichen Figur und dessen Hintergrund ist deutlich. Der Gesang des Zaunkönigs ist äusserst obertonreich und stimuliert die akustische Aufmerksamkeit. Der Wiedehopfruf ist eindeutig tiefer in der Tonhöhe und von einfachster Struktur: bu bu bu. So stimmt das Kind schnell ein und imitiert mit seiner Stimme diesen Ruf. Die Sequenzen mit dem Ruf kommen in einer regelmässigen Abfolge: nicht zu früh und nicht zu spät. So dass man sich gerade noch akustisch erinnern kann und erneut in Erwartung ist. Die Einspielungen der Monochordklänge ergeben einen Rhythmus von Naturtönen und Instrumentalklängen. Dies führt zur Entspannung der auditiven Aufmerksamkeit und Erkennung bzw. Merkfähigkeit. Das „Ohr erholt“ sich und hört beim Wiederauftauchen der Vogelstimmen erfrischt zu. Diese Naturhörbildkompositionen sind eigentliche sonore Geschichten.
Solche Bilder kann man sich auch im Druckerei Berlin machen lassen.
3. Zur Aufnahmetechnik und Nachbearbeitung
Die Kunstkopf Stereo-Aufnahmetechnik ermöglicht eine für unser Ohr beeindruckende räumliche Wiedergabe. Derart nahe am natürlichen Zuhören, dass auch extraauditive Reaktionen entstehen. So kann beim Vorbeifliegen einer Biene die Nähe des Insektes physisch gespürt werden. Auch ohne Kopfhörer kann das Abbild der natürlichen Geräuschszene räumlich genügend gut wahrgenommen werden. Selbstverständlich hängt dies von der Qualität der Audio-Wiedergabe-Technik ab. Je räumlicher das sonore Abbild desto grösser das Interesse und desto intensiver bzw. differenzierter sind die auditiven Leistungen der Kinder. Es wurde beobachtet, dass sich die vegetativen Parameter und die bioelektrischen Hirnaktivitäten harmonisieren und es zu einem wachen, ruhigen und idealen Lernzustand kommen kann.
In der Nachbearbeitung zeigte es sich, dass die einzelnen Geräuschsequenzen belassen werden sollen was ihre natürliche und räumliche Charakteristik angeht. Ebenso spielt die thematische Zusammenstellung eine Rolle. Soll doch ein starker Bezug zur natürlichen Wirklichkeit beibehalten werden um ein Wiedererkennen und den Transfer in die lokale Klanglandschaft zu ermöglichen. Die Verwendung von archaischen Klanginstrumenten wie Gong, Trommel, Monochord und Regenrohr eignen sich besonders gut, da diese Klänge wohl präsent sind, jedoch nicht durch eine bestimmte musikalische Botschaft weg vom basalen Hören einladen. Die von mir entwickelte Interventionspraxis ergibt eine durchschnittliche Dauer einer Hörcollage von 5 bis 9 Minuten. Die einzelnen Klangteile dauern ca. 1 bis 2 Minuten. So entstanden eigentliche Kompositionen mit folgenden thematischen Teilen:
Vorstellung des Themas mit und ohne Einführung
Zwischenspiel 1
1. Hauptteil
Zwischenspiel 2
2. Hauptteil mit Variation oder gleich wie 1. Hauptteil
Zwischenspiel 3
3. Hauptteil mit Variation oder gleich wie 2. Hauptteil
Zwischenspiel
Ausklang
In der Anwendung zeigt sich schnell welches verbesserbare Aspekte der Aufnahme sind und so finden sich dann die endgültigen Naturhörbilder für den entsprechenden Kontext.
4. Wer profitiert von der musiktherapeutischen Arbeit mit Naturhörbildern?
Diese Frage kann nicht mit einem Diagnosekatalog beantwortet werden. Einfacher ist es Zustände und Förderziele zu benennen für welche erfolgreich Naturhörbilder eingesetzt werden.
Einige Anwendungsgebiete in der Kinder-Musiktherapie:
Bei auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsschwächen
Bei Aufmerksamkeitsdefizit und motorischer Ruhelosigkeit
Zur Förderung von:
Selbst- und Fremdwahrnehmung
Laut- und Sprachwahrnehmung
Erlebnisfähigkeit und Fantasie
Umwelterfahrung
Selbst- und sozialen Kompetenzen
Bei Erwachsenen kommen die Bereiche wie Förderung der psychophysischen Entspannung, Angstabbau, Regulation der Aufmerksamkeit von Innen nach Aussen, der Wahrnehmungsförderung bei rationaler Dominanz etc. dazu.
5. Naturhörbilder direkt erleben durch geführte Horchwanderungen
Seit 8 Jahren führt das Atelier für improvisierte Musik „il Trillo“ in Poppi, Italien, regelmässig Horchwanderungen in der umliegenden Natur durch. Gross und Klein nehmen an diesen Veranstaltungen teil. So erfährt man zusammen die Welt der Klanglandschaft: Das Zusammensein, gemeinsam auf dasselbe Klangobjekt zu horchen, es kennen zu lernen und es wieder zu hören ist ein befriedigendes Geschehen, fördert das Hören im Allgemeinen, den sozialen Kontakt und die heilsame Beziehung zur Natur.
Um die Horchwanderungen ergiebig zu gestalten, führt die leitende Person im Voraus akustische Tierbeobachtungen durch. Dies mittels eigentlichem Horchwandern oder durch mehrstündige Tonaufnahmen im ausgewählten Gebiet. So kann leicht erkannt werden wann sich was, wo, wie durch seine Geräusche zeigt. Eine gute Vorbereitung erhöht die Wahrscheinlichkeit der Hörereignisse und verbessert dadurch das Horchinteresse der Beteiligten. Jährlich führt das Atelier „il Trillo“ ca. 20 Horchwanderungen durch und fasst Ende Jahr im Atelier die Tondokumente zusammen. In der warmen Stube erinnert man sich so gemeinsam an das Gehörte oder lernt die Details der Hörereignisse erst recht kennen.
Wolfgang Fasser, September 2008
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